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Die meinungsfreiste Nebensache der Welt

Der Fußball in Deutschland darf alles. Für ihn fallen Fernsehsendungen aus, jede andere Sportart wird ihm nachgestellt und die Diskussion über die Gehälter seiner Protagonisten wird nur mäßig angeregt geführt – egal wie unverhältnismäßig die Löhne der großen Ikonen ausfallen. Nur eines wird dem Nationalheiligtum Fußball vorenthalten: Politik.

Laut Oliver Mintzlaff, Sportdirektor bei RB Leipzig, seien Stadien und Fußballspiele nicht für politische Banner gedacht. Eine These, die von sehr vielen Verantwortlichen geteilt wird. Doch auf einmal wird die Idylle in den Fußballtempeln der Nation getrübt. Es kommen politische Einstellungen zum Vorschein, welche Vereinspräsidenten und Sportdirektoren so lange unter dem Deckmantel der toleranten und bunten Fankurve halten wollten. Es ist Samstag der 9.März. Im Stadion an der Gellerstraße spielt Tabellenführer Chmenitzer FC ein Heimspiel gegen VSG Altglienicke. Regionalliga Nordost, Amateurbereich, weit weg von den Millionenverträgen der Champions League. Hier schmeckt die Bratwurst gemeinhin noch nicht nach Kommerz, wird noch „echter Fußball“ gespielt. Die Irrelevanz macht gerade den Charme aus. Doch das Kreisliga-Feeling bekommt unmittelbar vor Spielbeginn einen dunklen Anstrich. In einer offiziellen Gedenkminute wird einem an Krebs verstorbenen Fan gedacht. Allerdings war der Tote nicht nur Anhänger des CFC. Thomas Haller war stadtbekannter Neonazi, Hooligan und Begründer der rechtsextremen Organisation „HooNaRa“ (Hooligans-Nazis-Rassisten). Ganz stilecht hüllten die Chemnitzer Fans ihren Block mit Hilfe von Bannern und Bengalos in den Farben schwarz, weiß und rot. Offener Nazikult im Stadion, vom Verein toleriert. Erst im Nachhinein zeigte der Verein Reue, gestand Fehler ein, Verantwortliche mussten den Verein verlassen.

Nichts sehen. Nichts hören.

Rechtsextremismus in deutschen Hooligan-Gruppierungen ist ein Problem, welches seit Jahrzehnten besteht. So versuchen Vereine durch Stadionverbote faschistische Vereinigungen und Fanclubs aus den Stadien heraus zu drängen. Doch der jüngste Vorfall in Chemnitz zeigt, wie inkonsequent und einfältig dieser Lösungsansatz eigentlich ist. Nur weil man offenkundig extremistische Fanclubs an den Pranger stellt und sich durch den Kampf gegen diese als große Retter der Demokratie inszeniert, vertreibt man nationalistische und fremdenfeindliche Ansichten nicht aus der eigenen Fanszene. Vielmehr wird das eigentliche Problem, der latente unterschwellige Rassismus gekonnt ignoriert. Nichts sehen. Nichts hören.

So echauffierte sich Claus-Dieter Wollitz, Trainer des FC Energie Cottbus, im vergangenen Jahr vor laufenden Kameras darüber, dass sein Verein zu unrecht in die rechte Ecke gedrängt würde. Wenige Tage später wurde ein Bild öffentlich, das Anhänger des FC Energie auf dem Cottbuser Altmarkt mit Ku-Klux-Klan Hauben und einem Banner mit der Aufschrift „Aufstieg des Bösen“ zeigt. Wollitz selbst stimmte im Freudentaumel des Aufstieges seiner Mannschaft den Gesang „Spieler, ihr Zigeuner!“ an, nachdem seine Schützlinge ihn mit „Trainer, du Zigeuner!“ dazu ermutigten. Der 53-Jährige entschuldigte sich im Nachhinein für sein Verhalten, sagte gegen Rechtsextremismus müsse entschieden vorgegangen werden. Den fragwürdigen Gesang von ihm und seiner Mannschaft entschuldigte er mit den Worten: „Wir wussten nicht, dass das so eine Beleidigung ist.“

Ein weiterer Vorfall der zeigt, wie wenig sensibilisiert Vereinsverantwortliche in dieser Problematik sind. Oftmals ist der Zwölfte Mann wichtiger als ein ehrliches Bekenntnis zu Toleranz und Demokratie. Zu groß ist die Angst, man könnte einflussreiche Fangruppen durch kritische Äußerungen vor den Kopf stoßen und so deren Rückhalt verlieren. Was ist also die Lösung? Doch einfach das Stadion zur politikfreien Zone erklären und so versuchen, Nazis das Sprachrohr zu verwehren?

Ein frommer Wunsch

Nein, das kann nicht die ultima ratio sein. Der Fußball sollte mehr können, so mächtig wie er in Deutschland ist. Hunderttausende Menschen versammeln sich an einem Wochenende in den Spielstätten der Bundesligisten. Menschen verschiedenster Gesellschaftsgruppen kommen zusammen, um Spaß zu haben. Eine bunte Mischung, die einen Querschnitt durch alle sozialen Gruppen aufzeigt. Nur ein Bruchteil von ihnen Vertritt extremistische Auffassungen. Nicht einmal in den benannten Fanszenen bilden Nazis die Mehrheit. Gemeinsam muss man ein Zeichen gegen diese Wenigen setzen können. Es reicht nicht, dass der DFB vereinzelte Spieltage in der Bundesliga unter das Motto seiner Anti-Diskriminierungs Kampagne stellt. 34-Mal im Jahr muss in der Bundesliga ein Fest der Toleranz, der Gleichberechtigung und der Demokratie gefeiert werden. Doch die Vereine müssen engagierten Fans auch die Möglichkeit dazu geben. Politik darf nicht aus Stadien verbannt werden. Viel zu groß ist sonst die Bühne, die man Extremisten überlässt. Viel zu groß ist das Potential, welches man verschenkt. So viele Menschen könnte man mit weltoffenen Botschaften erreichen, vor allem auch die Jugend,welche in den Fankurven des Landes steht. Ein weltoffener Fußball ist das, was das Land braucht. Nicht der kommerzielle Abklatsch, der in Spanien und England verkauft wird. Nur dann nimmt der Fußball wirklich die Rolle ein, die er spielen kann und verkauft sich nicht unter Wert.

 

Leon Heyde

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