Blog post

#wirsindmehr

Erwartet wurden 30.000 Gäste, gekommen sind 65.000. 65.000 Menschen, die am 3. September zusammen mit Kraftklub, den Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, Trettmann, K.I.Z, Materia & Casper sowie Nura in Chemnitz ein Zeichen gegen Rassismus und Gewalt und für Menschlichkeit setzen wollten. Unter dem Motto #wirsindmehr zeigten sie, dass sie für Werte wie Toleranz, Respekt und Menschlichkeit stehen und unterstützten damit die Chemnitzer, die zur Zeit unter dem Ruf ihrer Stadt leiden.

Was war passiert? In Chemnitz kam es zum Tod des Deutsch-Kubaners Daniel H., der vermutlich nach einem Streit von einem Syrer und einem Iraker niedergestochen wurde. Der nationalistische Mob instrumentalisierte den Mord, um Jagd auf Migranten und Deutsche mit ausländischen Wurzeln zu machen. Sie provozierten, beleidigten und marschierten mit Hitlergruß auf. Hier traf sich eine kleine Gruppe hasserfüllter Menschen, die durch einseitige Medienberichterstattung eine Plattform bekam und so ein falsches Bild von Chemnitz und Ostdeutschland in die Welt gesendet wurde. Die Menschen vor Ort waren entsetzt. Sie mussten sich wehren. Sie gründeten Initiativen, gingen auf die Straße und wollten ein Zeichen gegen Rechts setzen.

„Alles was Beine und gesunden Menschenverstand hat, steht gemeinsam auf gegen Nazis und Rechtsaußen“, so lautete Campinos Einladung nach Chemnitz drei Tage vorher beim Konzert der Toten Hosen in Ferropolis. Menschen aus ganz Deutschland nahmen ihm beim Wort, reisten Richtung Chemnitz und legten damit die komplette Infrastruktur der sächsischen Stadt lahm. Züge waren überfüllt, Autobahnabfahrten hoffnungslos verstopft, das Mobilfunknetz überlastet und Schule endete früher, damit die Schüler, bevor der Ansturm losbrach, noch nach Hause kamen.

Alle, die es bis 17 Uhr zum Johannisplatz geschafft haben, standen, nach einer kurzen Begrüßung erst einmal schweigend zusammen und gedachten Daniel H. Nach Aufrufen zu Spenden, Antifaschismus und Menschlichkeit eröffnete Trettmann das Gratis-Konzert. Vier komplett friedliche Stunden, in denen die Musiker ihre Reichweite immer wieder dafür nutzten, um an die Menschen zu appellieren. Tatkräftig unterstützt wurden sie dabei mit lauter Zustimmung des Publikums, welches immer wieder Parolen wie „Nazis raus“ und „Alerta Alerta Antifascista“ anstimmte.

„Es kommt darauf an, ob du Arschloch bist oder nicht!“

Während seines Auftritts unterstrich Trettmann, dass an diesem Abend nicht auf Gräbern getanzt wurde. Es geht einzig darum, sich der rechten Szene entgegenzustellen. Es darf nicht toleriert werden, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe von Neonazis gejagt werden. Felix Brummer, Frontmann der Chemnitzer Band Kraftklub und Initiator des Konzerts, erklärte, es ginge an diesem Abend darum zu zeigen, dass diese Menschen nicht alleine dastehen, sondern von Tausenden, egal welchen Alters, welcher Hautfarbe, welcher Sexualität oder welchen Musikgeschmacks, unterstützt werden. Natürlich seien sie sich darüber bewusst, dass ein Konzert nicht die Welt retten kann. Trotzdem betonten die Musiker immer wieder, dass diese Veranstaltung zumindest eine Nachricht an alle Menschen da draußen ist, den Problemen ins Auge zu schauen und anzufangen etwas dagegen zu unternehmen.

#wirsindmehr – 65.000 komplett unterschiedliche Menschen zeigten, wie das geht: Friedlich miteinander zu feiern und dabei gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Am Ende ging es, wie Casper bestätigt, nicht um Politik, sondern um Menschlichkeit. Oder wie es Jan von Feine Sahne Fischfilet ausdrückt: „Es kommt darauf an, ob du Arschloch bist oder nicht!“

Pauline Liepe

 

Bild: Chris W. Braunschweiger

[CC BY-SA 4.0(https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], from Wikimedia Commons

 

vorheriger Beitrag nächster Beitrag